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Irgendwann ist immer der Zeitpunkt gekommen: Ein lange Zeit im Unternehmen eingesetztes Tool soll abgelöst und durch ein neues ersetzt werden. Da solche Projekte häufig vielschichtig und unübersichtlich sind, ist die Liste der damit verbundenen Herausforderungen entsprechend lang. Die Frage, die daher im Raum steht ist: Wie kann die Einführung von neuen Tools reibungslos gelingen?

Ohje, die Entscheidung ist gefallen…

Die Entscheidung, dass ein existierendes Tool abgelöst oder ein gänzlich neues Produkt in die vorhandene Werkzeugkette integriert werden soll, solltet ihr gut durchdenken, denn beide Varianten bringen sowohl technische Aufwände, als auch Präferenzen und Antipathien aus Nutzersicht mit sich. Ob eine Produkt-Neueinführung oder –ablösung zum Erfolg (oder zum Misserfolg) führt, hängt unter anderem stark von der Nutzerakzeptanz ab. Zusammen mit dem für die Einführung verantwortlichen Personenkreis steht ihr dabei vor einem Berg voller Herausforderungen:

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Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Neben der technischen Komplexität einer Softwareumstellung stellt der Nutzer an sich die größte Herausforderung dar. Nach jahrelanger Arbeit mit einer Software hat er sich längst an unschöne und komplizierte Interaktionsschritte gewöhnt und möchte daher gewohnte Arbeitsabläufe nicht aufgeben. Somit hat die Einführung einer neuen Software oder eines neuen Tools, welche oft mit einer Abweichung der bekannten Arbeitsschritte verbunden ist, häufig keinen guten Stand bei den Nutzern. Eine neue Software und die damit verbundene Einarbeitung wird als lästige Zusatzpflicht verstanden.

Heterogene Nutzergruppen haben widersprüchliche Anforderungen und Akzeptanzprobleme

Die Herausforderungen nehmen vor allem dann zu, wenn es sich um komplexe Anwendungen handelt, die von unterschiedlichen Nutzergruppen bedient werden müssen. Diese sind meist äußerst heterogen und haben verschiedenste, teilweise sogar in Konflikt miteinander stehende Anforderungen an eine neue Lösung – und für sie alle ist natürlich wichtig, dass die neue Lösung auch alle Funktionen, die die alte Anwendung enthielt, bereitstellt. Dies ist vor allem dann schwierig, wenn eine der mit der Ablösung verbundenen Aufgabe das Verschlanken vormals aufgeblähter Prozesse ist. Seid also auf große Akzeptanzprobleme seitens der Nutzer eingestellt.

Gelegenheitsnutzer vergessen wichtige Interaktionskonzepte und müssen sich wiederholt einarbeiten

Um den Einstieg in die Arbeit mit der neuen Anwendung zu erleichtern, erfolgen meist umfassende Schulungsmaßnahmen durch die Toolhersteller. Diese können mehrere Tage andauern und vermitteln häufig den kompletten Funktionsumfang. Nach einer solchen Schulung sind die Teilnehmer oftmals gut in der Lage, das Tool zumindest kurzfristig zu bedienen. Allerdings ist die Menge an Input häufig sehr umfassend. Für sogenannte Power-User, die mit dem Tool nach der Schulung regelmäßig arbeiten, stellt dies selten ein Problem dar. Schwieriger gestaltet es sich für Gelegenheitsnutzer, die nur zu bestimmten Anlässen mit der Anwendung in Berührung kommen. Nach geraumer Zeit sind die gelernten Informationen über die Anwendung des Tools wieder vergessen – ein erneuter, durch die Nutzer als lästig empfundener Einarbeitungsaufwand entsteht. Es fehlen nachhaltige Konzepte, die es auch dem Gelegenheitsnutzer ermöglichen, seine Arbeit in der Anwendung schnell auszuführen.

Alte Daten dürfen nicht verloren gehen

Natürlich gibt es in der alten, abzulösenden Anwendung viele Daten, die in der jahrelangen Arbeit mit dem Tool entstanden sind. Diese können nicht einfach gelöscht werden, sondern müssen auch in der neuen Anwendung zur Verfügung stehen. Hier stellt sich die herausfordernde Frage, wie dies erfolgen soll: Benötigt ihr eine komplette Migration, bei der alle Daten aus dem alten Tool in das neue importiert werden, oder reichen Migrationskonzepte aus, bei denen beispielsweise mittels Traceability-Konzepten die alten Daten mit neuen Daten verknüpft werden? Je nachdem, welchen Weg ihr geht, kann die Umsetzung äußerst aufwendig sein und Jahre in Anspruch nehmen.

Die Anwendung muss in eine bestehende Prozess- und Werkzeugkette integriert werden

In der Regel ist die Lage aber noch viel komplexer: Statt euch allein auf die neue Anwendung konzentrieren zu können, müsst ihr den gesamten Kontext berücksichtigen, besonders wenn ihr mit einer komplexen Prozess- und Werkzeugkette arbeitet. Somit müsst ihr euch auch damit auseinandersetzen, wie sich eine neue Anwendung möglichst nahtlos mit anderen Werkzeugen verbinden lässt. Die technische Komplexität solch einer Verknüpfung darf keinesfalls zu Lasten der Nutzer gehen – diese sollten bestenfalls keine Probleme haben, gleichzeitig mit mehreren Anwendungen in ihrem Arbeitsprozess zu arbeiten.

Neue Tools erfolgreich einführen – dank Usability Engineering 

Usability Engineering ist ein Prozess, der aus mehreren iterativ ausgeführten Schritten besteht und deren Durchführung bei vielen der zuvor genannten Herausforderungen helfen kann. Es besteht die Möglichkeit sich verschiedenster Methoden des Prozesses zu bedienen, abhängig vom jeweiligen Entwicklungsstand der Software.

Die Nutzerbedürfnisse verstehen

So könnt ihr beispielsweise zu Beginn durch eine Anforderungserhebung (z. B. Nutzungskontextinterviews oder Beobachtungen) aller Nutzergruppen die Bedürfnisse der verschiedenen Nutzertypen identifizieren. Ihr gewinnt so Informationen über bisherige Arbeitsschritte und Vorgehensweisen, Hilfsmittel, Gewohnheitsmuster und Übergaben.

Durch die Aggregation der Erkenntnisse könnt ihr einen gemeinsamen Nenner über die Nutzergruppen hinweg ermitteln und diesen als Nutzungsanforderungen an das System spezifizieren. Auch relevante Spezialfälle werden so identifiziert.

Durch die Anforderungserhebung könnt ihr sicherstellen, dass sich die Nutzer in den neuen Interaktionskonzepten wiederfinden, was wiederum zu einer Akzeptanzsteigerung führt. Dazu trägt auch das Gefühl der Nutzer bei, in den Einführungsprozess integriert zu sein und mitgestalten zu können.

Die Anwendung an Nutzerbedürfnisse anpassen

Diesen „gemeinsamen Nenner“, also die Umsetzung der identifizierten Nutzungsanforderungen im System, könnt ihr dann mit Hilfe von realen Nutzern und Usability Tests evaluieren. Wichtig ist, dass dies entwicklungsbegleitend passiert: Anhand von mehreren Iterationen können verschiedene Teile der Software aus Usability-Sicht „perfektioniert“ und an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden, um eine intuitive Oberfläche zu schaffen.

Einerseits profitiert ihr so davon, dass die Interaktion mit der neuen Lösung für die Nutzer möglichst einfach ist – andererseits könnt ihr die Ergebnisse aus der Analyse und den Usability Tests nutzen, um für die Nutzer adäquate, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Schulungen und Support-Konzepte anzubieten.

Berücksichtigung des Nutzungskontextes

Sämtliche Methoden des Usability Engineerings beziehen immer den Nutzungskontext mit ein, d.h. mit ihnen berücksichtigt ihr, welche weiteren Anwendungen und Hilfsmittel die Nutzer verwenden, wie sie mit anderen zusammenarbeiten, wie räumliche Umgebungsfaktoren gestaltet sind, usw.

Durch den Prozess entstehen also auch Anforderungen an die Übergabe zu anderen Anwendungen und Erkenntnisse über die Notwendigkeit bestimmter Migrationsstrategien. Diese Wissen hilft wiederum bei der gelungenen Integration der neuen Anwendung in die bestehende Prozess- und Werkzeugkette.

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Nochmal in Kürze: Was habt ihr nun davon…

Usability Engineering kann euch also wesentlich dabei unterstützen, neue Anwendungen und Tools erfolgreich einzuführen:

  • Ihr entwickelt an die Bedürfnisse der Nutzer angepasste, intuitive Oberflächen: Die Akzeptanz gegenüber der Anwendung steigt.
  • Ihr schafft eine gelungene Brücke zwischen der alten und neuen Toolwelt.
  • Die neue Lösung fügt sich möglichst nahtlos in die vorhandene Werkzeugkette ein.
  • Nachhaltige Schulungskonzepte und nutzergerecht gestaltete „Hilfe-Communities“ erlauben auch Gelegenheitsnutzern den schnellen Wiedereinstieg in die Anwendung.

Doch der Einsatz von Usability Engineering lohnt sich nicht nur bei der Einführung neuer Tools! Ihr wollt mehr zu dem Thema erfahren? Dann schaut euch in unserem Blog um!

6 gute Gründe für Usability Engineering:  Erfahre mehr in unserem Blogartikel.

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