Was meint ihr: Welches Projekt ist am Ende erfolgreicher? Eines, in dem eine gute und zuversichtliche Stimmung herrscht, oder eines, in dem alle Beteiligten jeden Tag miese Laune haben?
Um dies zu verstehen ist es gut, einige Jahre Erfahrung auf dem Buckel zu haben – zumindest kann es nicht schaden, sich an "die gute alte Zeit" zu erinnern. Denn in dieser Zeit gab es ein wesentliches Entwicklungsmodell, den Wasserfall. Das Modell will ich an dieser Stelle gar nicht erst erklären, denn viel wichtiger ist es, zu verstehen, welche Bedeutung ein Programmierer in diesem Entwicklungsmodell hatte.
Keine!
In den 90er-Jahren wurden Entwickler als austauschbare Ressourcen angesehen. Es gab sie in ausreichender Zahl am Personalmarkt, egal ob Programmierer, Analyst, Tester oder sogar Manager. Wichtig war die Rolle, die man als Entwickler ausfüllte, nicht der Mensch an sich.
Doch zurück zur Ausgangsfrage: In welchem Projekt würdet ihr bessere Leistungen erzielen? In einem, in dem ihr wertgeschätzt werdet, oder in einem, in dem ihr austauschbar seid?
1992 wurde Bill Clinton Präsident der Vereinigten Staaten. Seine siegreiche Kampagne hieß "Putting People First" – frei übersetzt "Der Mensch im Mittelpunkt".
Vielleicht war dies der Grund, warum im agilen Manifest einige Jahre später der folgende Satz landete:
Individuals and interactions over processes and tools.
Wahrscheinlicher ist aber, dass Alister Cockburn mit seinem Artikel "Humans and Technology" dafür gesorgt hat. Cockburn belegt hier sehr anschaulich, wie sehr wir mit unseren Befindlichkeiten den Erfolg eines Projektes beeinflussen – und wie wichtig es im Umkehrschluss ist, die Teammitglieder nicht nur als austauschbare Ressource zu betrachten.
Auch sehr lesenswert zu diesem Thema ist Martin Fowlers Aufsatz "A New Methodology".
Leider geht diese Grundidee in der heutigen Zeit unter. Zu oft wird das Ergebnis in den Mittelpunkt gestellt und damit Abstand vom Menschen genommen. Zu oft macht man sich stattdessen wie früher Gedanken über Prozesse und die Werkzeuge, mit denen man diese umsetzen kann.
Noch ein Zitat aus dem agilen Manifest:
Build projects around motivated individuals. Give them the environment and support they need, and trust them to get the job done.
Dieses agile Prinzip verdeutlicht, dass Menschen in Teams oder Projekten nur als vollständiges Individuum ihr volles Potential entfalten können. Diese Motivation ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg eines Projekts.
Motivation entsteht jedoch nicht durch Worte, sondern durch das äußere Umfeld kombiniert mit den Bedürfnissen der Menschen. Dass motivierte Menschen grundsätzlich eine positivere Stimmung an den Tag legen, muss hierbei – denke ich – nicht weiter erläutert werden.
Wenn ihr euch ernsthaft mit Agilität auseinandersetzen möchtet, um wirklich von diesem tollen Konzept zu profitieren, solltet ihr die Stimmung in einem Projekt als wesentlichen Qualitätsfaktor regelmäßig messen und im Falle eines Falles alles dafür tun, dass sie nicht in den Keller rutscht.
Das Messen der Stimmung kann durch Beobachtung oder Befragung geschehen, wobei ihr bei letzterer etwas aufpassen müsst: Fragt ihr einen Menschen nach seinem eigenen Befinden, wird sehr oft im Sinne sozialer Erwünschtheit mit einer Tendenz zur Mitte geantwortet. Statt einer ehrlichen Antwort bekommt ihr in diesem Fall fast immer "Geht so" oder "Ganz gut" zu hören, was weder euch noch den Befragten wirklich weiterbringt.
Sinnvoller ist es, die Projektmitglieder zu bitten, die Stimmung im Team zu beurteilen – nicht nur im eigenen, sondern falls vorhanden, auch in anderen Teams.
Untermauern könnt ihr diese gewonnen Aussagen durch eigene Beobachtungen. Auch Bewertungsportale können hier helfen. So ist zum Beispiel das Arbeitgeberportal Kununu ein guter Gradmesser – zumindest für kleinere Unternehmen. Solltet ihr hier regelmäßig schlecht abschneiden, ist es um die Stimmung im Team wahrscheinlich nicht gut bestellt und ihr solltet auf keinen Fall gute Projektergebnisse erwarten.
Ein Projekt, in dem alle Leute miese Laune haben, wird am Ende immer schlecht ausgehen – was nicht heißen soll, dass man es nicht trotzdem als Erfolg verkaufen könnte. Aber das ist eine andere Geschichte.