Naht jetzt das Ende der Vertrauensarbeitszeit? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte am 14.05.2019, dass Arbeitgeber künftig dazu verpflichtet seien, alle geleisteten Arbeitsstunden ihrer Mitarbeiter systematisch und lückenlos zu erfassen. Was dieses Urteil für die Zukunft der Vertrauensarbeitszeit bedeutet, bringe ich nachfolgend auf den Punkt.
Es begann in Spanien mit einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und einer Niederlassung der Deutschen Bank. Der Arbeitnehmer berief sich auf die EU-Richtlinie 2003/88/EG. Die regelt unter anderem Ruhe- und Pausenzeiten. Darüber hinaus verlangt die Richtlinie von den Mitgliedstaaten, dass diese Maßnahmen treffen, damit die entsprechenden Schutzvorschriften eingehalten werden.
Der Kläger bemängelte, dass die Einhaltung der Schutzvorschriften ohne einen Nachweis der regulären Arbeitszeit nicht möglich sei. Dieser Aussage schlossen sich auch spanische Gewerkschaften an.
In der Folge setzte das spanische Gericht das Verfahren aus und legte die Streitsache dem EuGH zur Entscheidung vor. Dieser urteilte am 14.05.2019 im Sinne der Kläger und verlangt von europäischen Unternehmen ein System zur systematischen, lückenlosen Erfassung der täglich geleisteten Arbeitszeit.
Das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung muss nicht direkt von allen Unternehmen in der EU umgesetzt werden. Zunächst sind die Länder gefragt, sich mit dem EuGH-Urteil zu befassen und nationale Regelungen aufzustellen.
Dafür hat der Europäische Gerichtshof den EU-Staaten sogar Spielräume eingeräumt. Jeder Staat wird selbst festlegen können, welche Ausnahmen es beispielsweise für bestimmte Branchen oder Kleinstbetriebe gibt.
Aufgrund vieler unterschiedlicher Gegebenheiten, alleine durch die Vielzahl unterschiedlicher Branchen, werden vermutlich noch viele Monate ins Land gehen, bis konkrete Gesetzesentwürfe stehen.
Laut diversen Medienaussagen häuften sich 2018 bundesweit über 2 Milliarden Überstunden bei den Arbeitnehmern an. Davon wurden jedoch nur die Hälfte durch die Arbeitgeber vergütet.
Die Gründe für diese Masse an unbezahlten Überstunden sind vielfältig. Einige Unternehmen erwarten sie schlichtweg. Hier ist der Wunsch vieler Arbeitnehmer nach einer nachvollziehbaren Arbeitszeiterfassung absolut gerechtfertigt. Mitarbeiter auszubeuten, ist nicht nur rechtlich unzulässig, es schadet auch dem eigenen Unternehmen nachhaltig.
Don’t do it!
Auf der anderen Seite sind Arbeitnehmer auch bereit, mehr zu leisten, wenn der Job Spaß macht.
Der Gesetzgeber schreibt im Arbeitszeitgesetz ganz klar vor, wie lange ein Arbeitnehmer pro Woche und Tag arbeiten darf. Durchschnittlich sind es höchstens 48 Stunden wöchentlich und 8 Stunden täglich (§3 ArbZG und §7 Absatz 8 ArbZG).
Zu beachten ist zusätzlich, dass es innerhalb von
geben muss.
In besonderen Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber auch einen 10-Stunden-Tag verlangen, der eine Wochenarbeitszeit von bis zu 60 Stunden zur Folge haben kann.
Wichtig: Diese Mehrarbeit muss der Arbeitgeber mit der Gewährung von Freizeit wieder ausgleichen. Mindestens muss er darauf achten, dass die Arbeitszeit über einen Zeitraum von 24 Wochen bei durchschnittlich 8 Stunden liegt.
Und? Arbeitest du zu viel oder liegt dein Arbeitspensum noch im rechtlichen Rahmen?
itemis lebt als modernes und innovatives IT-Unternehmen das Arbeitszeitmodell der Vertrauensarbeitszeit. Einzig die Mitarbeiter, die als externe Berater in Entwicklungsteams beim Kunden arbeiten, müssen sich sinnhafter Weise etwas an die Arbeitszeiten des Kunden anpassen.
Grundsätzlich schätzen wir die Vorteile, die die Vertrauensarbeitszeit für beide Seiten bietet und die ich unten etwas detaillierter beschreibe.
Die klare Antwort ist: „Jein“.
Fakt ist, dass Arbeitgeber künftig dazu verpflichtet werden, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen und zu dokumentieren. In einigen Branchen und Betrieben ist dies natürlich heute schon gelebter Alltag. Ein gutes Beispiel hierfür sind Industriebetriebe und produzierendes Gewerbe.
In anderen Branchen, wie beispielsweise der IT, gibt es jedoch viele Unternehmen, die auf die Vertrauensarbeitszeit setzen und gute Erfahrungen damit gemacht haben.
Wie der Name bereits aussagt, schenkt der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern das Vertrauen, dass diese Ihre vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten einhalten. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Mitarbeiter weniger arbeiten müssen oder sich auf die faule Haut legen dürfen.
Vertrauensarbeitszeit hat viel mit Eigenverantwortung zu tun.
Es ist ein Geben und Nehmen, das sich in etwa die Waage hält. Wenn mir der Arbeitgeber die Freiheit lässt, meine Arbeitszeit selbst zu gestalten, bin ich als Arbeitnehmer auch bereit, mehr zu leisten. Nicht, weil ich es müsste, sondern weil es ein respektvolles Geben und Nehmen ist.
Konkret bedeutet das, dass ich in der heißen Phase eines Projektes vielleicht erst um 19:00 Uhr (statt 17:00 Uhr) den Laptop zuklappe, wenn wirklich alle To-Do’s abgearbeitet sind. Dafür habe ich aber auch die Freiheit am nächsten Tag später anzufangen oder in der Folgewoche für den entsprechenden Zeitausgleich zu sorgen.
Vertrauensarbeitszeit hat auch einen positiven Effekt auf die Work-Life-Balance. Wenn der Fokus auf der Erledigung von Aufgaben liegt und nicht auf festen Arbeitszeiten, entstehen viele Probleme erst gar nicht.
Bei itemis kann ich beispielsweise in aller Ruhe meine Kinder zur Schule und in die Kita bringen und erst nach der Rush-Hour am Morgen entspannt und in Ruhe im Büro ankommen.
Auch die berühmt berüchtigten Handwerkerbesuche zwischen 07:00 Uhr und 15:00 Uhr sind dank Vertrauensarbeitszeit kein Problem. Home-Office heißt hier das Stichwort.
Doch auch für den Arbeitgeber hat die Vertrauensarbeitszeit Vorteile:
Der Vertrauensvorschuss allein kann bereits ein ausschlaggebendes Kriterium sein, weshalb sich ein Bewerber für das eine und nicht für das andere Unternehmen entscheidet.
Auch der Verwaltungsaufwand im Hinblick auf die Bereitstellung geeigneter Systeme sowie die Speicherung und Auswertung der Arbeitszeiten entfällt.
Wir werden uns überraschen lassen müssen, wie die Vorgaben des EuGH zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland umzusetzen sind. Erst dann zeigt sich, welche Branchen und Unternehmen wie stark von der neuen Rechtslage betroffen sind.
Auf einem ganz anderen Blatt steht jedoch, wie die Unternehmen die Thematik handhaben. Denn was bereits heute klar ist: Unternehmen dürfen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch an Ihre Mitarbeiter delegieren.
Dann liegt es wieder in der Pflicht jedes Einzelnen, seine Zeiten in ein entsprechendes System einzutragen, nach bestem Wissen und Gewissen. Sicher werden einige Unternehmen die neu gewonnenen Daten zur Auswertung nutzen. Andere hingegen werden ihren Mitarbeitern auch weiterhin das vollste Vertrauen schenken und die Daten einfach Daten sein lassen.