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Woran ein Design scheitern kann und wie Designer die Probleme umgehen

Geschrieben von Michael Jendryschik | 26.01.2016

Wenn die Anforderungen an ein System bekannt und hinreichend beschrieben sind, und wenn es sich dabei um die richtigen, also die Nutzungsanforderungen handelt, dann kann der Designer loslegen. Dessen Aufgabe ist es nun, ein geeignetes Design zu entwerfen.

Es gibt allerdings verschiedene Probleme, die aus Trägheit oder Bequemlichkeit des Designers bzw. des Designteams resultieren. Sie führen alle dazu, dass das Design schlecht wird – oder zumindest weniger gut, als es sein könnte, wenn das Designteam motiviert, kreativ und benutzerzentriert arbeiten würde.

Verbessern statt Erneuern

Die Bequemlichkeit, das weiterzuentwickeln, was bereits da ist, anstatt einen echten Kreativ- und Innovationsprozess zu wagen, kann zwei Facetten annehmen. Beide führen zu Problemen.

  • Die eigene Lösung wird immer weiter ausgebaut. Es werden neue Funktionen integriert und bestehende Funktionen und Designs verändert. Nach einiger Zeit treten Usability-Probleme auf, da die Lösung nicht mehr so funktioniert, wie sie mal konzipiert wurde. Darüber hinaus präsentiert sie sich nicht mehr aus einem Guss.
  • Die Lösungen der – möglicherweise erfolgreicheren – Konkurrenz werden als Maßstab herangezogen und kritiklos adaptiert oder kopiert, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob sie wirklich gut sind und ob sie sich für den eigenen Anwendungsfall eignen. So kommt es, dass viele Online-Shops in vielen Details so aussehen und funktionieren wie Amazon. Das ist einerseits gut in Bezug auf die Aspekte Selbstbeschreibungsfähigkeit und Erwartungskonformität und damit scheinbar eine gute Sache aus Sicht des Nutzers – aber wer sagt, dass die Lösungen des Marktführers tatsächlich die besten Lösungen sind?

Richtig schlimm kann es aber werden, wenn der Designer anfängt, kreativ zu werden, dabei aber falsch vorgeht.

Design aus einem Guss

Abbildung 1 illustriert den Prozess eines Designers, der bereits mit einer detaillierten Vorstellung des Designziels startet und den Designprozess für sich »im stillen Kämmerlein« von Anfang bis Ende durchführt. Eine solche Vorgehensweise ist typisch für Designer, die ihre Kreativität vor allem aus ihrer Erfahrung schöpfen und Bewährtes reproduzieren.


Abbildung 1: Inkrementelles Design aus einem Guss

Da dem Designer das Gesamtbild von Anfang an präsent ist, wird das Design Schritt für Schritt aufgebaut. Verschiedene Teile werden zu unterschiedlichen Zeiten nacheinander mit hohem Detaillierungsgrad entworfen und entweder sofort oder umgehend in ein Gesamtdesign integriert. Der Sprung von der groben Idee zum fertig ausdetaillierten Design ist sehr weit. Zwischenschritte gibt es wenige oder keine; eine kreative Annäherung an eine funktionierende Lösung findet nicht statt, sondern eher eine Arbeit nach dem Motto »was nicht passt, wird passend gemacht«. Ob die Vision noch funktioniert, sobald alle Details bekannt sind, zeigt sich erst am Ende.

Dabei können Designs wie in Abbildung 2 herauskommen. Die Software PowerGREP durchsucht Text- und Binär-Dateien. Gerade für Einsteiger ist diese Benutzeroberfläche sicherlich sehr verwirrend, aber auch kaum ein fortgeschrittener Nutzer wird gerne mit dieser Software arbeiten (Stichwort: kognitive Belastung). Man müsste frühere Versionen dieser Software anschauen, um zu beurteilen, ob von Version zu Version immer weitere Funktionen hinzugekommen sind, die in die bestehende Benutzeroberfläche gequetscht wurden, oder ob Vision und Detaillierung im Designprozess auseinandergelaufen sind.

Abbildung 2: PowerGREP

Die erste Idee ist die Beste

Ein Problem, das sich daraus ergibt, wenn der Designer Schritt für Schritt mit zu großer Liebe fürs Detail vorgeht, ist die Neigung, an der ersten Idee festhalten zu wollen. Nichts ist gefährlicher als eine Idee, wenn es die einzige ist [1]. Wer sich zu früh in dem Designprozess mit konkreten Details befasst, der verliert die Fähigkeit, eine Lösung zugunsten einer überlegenen Lösung aufzugeben. Vielleicht hat es damit zu tun, dass man seine Idee so gut findet und so davon überzeugt ist, dass man so lange daran feilt, bis auch das letzte Designproblem gelöst ist, oder – was wahrscheinlicher ist – bis man sich durch die lange Auseinandersetzung mit seinem Design an die Probleme gewöhnt hat.

Eher trifft aber ein anderer Punkt zu: Wenn man lange an etwas arbeitet und viel Aufwand investiert, kann man die geleistete Arbeit nicht einfach verwerfen. Den Effekt nennt man in der Literatur »sunk-cost effekt« [2]. Er bezeichnet die Tendenz, ein Vorhaben fortzusetzen, wenn bereits eine Investition in Form von Geld, Anstrengung oder Zeit getätigt wurde, also »versunkene Kosten« entstanden sind. Die bereits getätigten Investitionen beeinflussen die Entscheidung über zukünftige Investitionen und führen in Folge dazu, dass »gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen wird«. Dabei sind versunkene Kosten unwiederbringbar und sollten bei gegenwärtigen oder zukünftigen Entscheidung keine Rolle spielen. Dennoch schauen wir auch schlechte Filme meistens zu Ende.

Fehlendes Benutzerfeedback

Häufig ist es aber auch so, dass der Designer an der ersten Idee festhalten muss. Nämlich dann, wenn niemand da ist, der ihm sagt, dass seine Idee schlecht ist.

Womit hängt das zusammen?

Je fertiger ein Entwurf aussieht, desto weniger trauen Testnutzer, die nach seiner Meinung gefragt werden, den Entwurf zu kritisieren. Sollte sich doch jemand trauen, geht das Feedback häufig in die falsche Richtung. Denn das Design ist bereits zu detailliert, um sich über Grundsätzliches Gedanken zu machen. Nicht mehr die grundlegende Idee eines Designs, der Aufbau einer Informationsarchitektur oder die wesentlichen Konzepte des Interaktionsdesigns werden diskutiert, sondern Farben, Schriften, pixelgenaue Abstände und die Größe des Logos.

Bei unfertigen und mit einfachen Mitteln hergestellten Prototypen erlauben sich die testenden Benutzer meist ehrlicheres Feedback als bei einem scheinbar fertigen Produkt. Außerdem diskutieren sie über die richtigen Dinge.

Besseres Design durch Kreativität und Feedback: Prototypen, Iterationen und Benutzerbeteiligung

In einem Kreativitätsprozess sollte es das Ziel sein, möglichst viele Ideen in kurzer Zeit zu generieren und erlebbar zu machen. Dieses »Idee-Brainstorming« funktioniert am besten in einer kleinen Gruppe aus zwei oder drei Interaktions und Visual Designern.

Dicke Stifte und viel Papier oder ein Whiteboard sind die besten Werkzeuge für die ersten Skizzen; sie fördern die Zusammenarbeit und machen es einfach, Ideen »begreifbar« zu machen, zu diskutieren und zu entwickeln. Verschiedene Möglichkeiten und Anordnungen können so ausprobiert, Informationen und Funktionalität auf unterschiedliche Weise präsentiert werden. Sollten sich Ideen als tragfähig erweisen, werden sie weiterentwickelt – falls nicht, werden sie fallengelassen.

So entsteht das fertige Design in mehreren Iterationen. Von Iteration zu Iteration wird das Design weiter detailliert, und zwar nicht punktuell, sondern ganzheitlich. Dabei nähert sich die Anmutung der Prototypen immer mehr dem angestrebten Ergebnis an: Aus Handskizzen werden Entwürfe, die am Computer erstellt werden (z.B. mit Balsamiq Mockups oder Axure) und später lauffähige Software-Prototypen.

Abbildung 3 zeigt im Ansatz, wie in mehreren Schritten aus jeweils verschiedenen Gestaltungsalternativen die jeweils geeignetste ausgewählt und weiterentwickelt wird, bis am Ende das fertige Design steht.

Abbildung 3: Iteratives Design mit mehreren Gestaltungsalternativen

Aber wie findet der Designer heraus, ob eine Idee etwas taugt oder nicht? Das erreicht er, indem er die erstellten Prototypen möglichst direkt und regelmäßig mit echten Nutzern diskutiert und validiert, unabhängig davon, wie unfertig solch ein Prototyp ist. Dafür gibt es verschiedene Methoden, von informellen Feedback-Sitzungen, in denen der Designer seine Ideen verschiedenen Nutzern präsentiert und mit ihnen diskutiert, bis hin zu Usability-Tests, in denen Nutzer typische Aufgaben durchlaufen und dabei von einem Usability-Experten angeleitet und beobachtet werden.

Wichtig ist eine Arbeitskultur voller Wiederholungen und Iterationen: Die drei Phasen der Ideenfindung, des Prototypings und der Validierung müssen mehrmals durchlaufen werden. Wenn der Designer sich am benutzerzentrierten Gestaltungsprozess nach DIN EN ISO 9241-210 orientiert, wird er das berücksichtigen.

Quellen

[1] C. Brügger, J. Scherer; »Denkmotor: Nichts ist gefährlicher als eine Idee, wenn es die einzige ist«, GABAL, 2014.
[2] H. R. Arkes, C. Blumer; »The psychology of sunk cost. Organizational Behavior and Human Decision Processes«, 1985.
[3] A. Cooper, R. Reimann, D. Cronin, D; » About Face: Interface und Interaction Design«, Mitp-Verlag, 2010.
[4] Die Mona-Lisa-Illustrationen wurden erstmals von agileproductdesign.com verwendet, um agile Softwareentwicklung zu erläutern. Der Autor dieses Artikels hat sie für seine Zwecke angepasst.