Beim Usability Engineering geht es nicht nur um ein gutes Gefühl und Intuition bei der Gestaltung, es geht vor allem um Normen (z. B. ISO 9241), Gestaltungsregeln, Heuristiken und Design Patterns, die uns dabei helfen, ein System gebrauchstauglich zu gestalten. Im heutigen Blogpost stelle ich die grundlegenden Prozesse, ihre Reihenfolge und bestmögliche Umsetzung vor.
Das folgende Bild zeigt die verschiedenen Prozessschritte, die während eines Entwicklungsprojektes aus Usability Engineering Sicht durchlaufen werden sollten.
Nachdem wir den Prozess geplant haben, können wir direkt loslegen. Und wo fängt man am besten an? Genau – am Anfang. Damit ein System genau das macht, was der Nutzer braucht, sollten wir zuerst einmal herausfinden, welche Dinge wie zum Beispiel Funktionen der Nutzer überhaupt benötigt. Um dies herauszufinden, führen wir zu Beginn eines Entwicklungsprozesses unter anderem Kontextinterviews mit realen Nutzern durch. Diese Interviews helfen uns, den Nutzungskontext zu verstehen und zu beschreiben. Daraufhin werden Personas erstellt. Jede Persona ist eine repräsentative Beschreibungen einer Person, die für eine reale Benutzergruppe steht, die das System nutzt. Mehr dazu findet ihr in unserem Blogbeitrag Personas – Definition, Potenziale und Erstellung. Auf dieser Grundlage ermitteln wir anschließend die Erfordernisse und leiten daraus die Nutzungsanforderungen an das System ab.
Leider ist es zum Beispiel bei vielen Softwareprodukten der Fall, dass nur etwa 20% aller Funktionen häufig genutzt und etwa 50% kaum oder niemals verwendet werden, da die Produkte oft am Kunden vorbei entwickelt werden. Das führt dazu, dass nachträgliche Redesigns und Erweiterungen basierend auf Nutzungsanforderungen alleine 60% der gesamten Entwicklungskosten ausmachen können (vgl. Standish Group – The CHAOS Manifesto, 2013). Eine frühe Einbindung der Nutzer kann also dafür genutzt werden, dass die „richtigen“ Anforderungen erhoben und anschließend auch nur die wirklich benötigten Funktionen entwickelt werden.
Nachdem wir die Personas erstellt und Anforderungen erhoben haben, entwickeln wir Use Cases und Nutzungsszenarien, die eine Fokussierung auf typische Anwendungsfälle der Nutzer ermöglichen und den Funktionsumfang des Produkts festlegen können. In der folgenden Grafik könnt ihr gut sehen, welche Dokumente, bzw. Leistungen in welchem Prozessschritt entwickelt werden.
Für die Gestaltung eines Systems und die Umsetzung der ersten Ideen zur Interaktion nutzen wir gerne Prototypen und haben damit viele gute Erfahrungen gemacht. Dazu verwenden wir zum Beispiel Low-Fidelity Prototypen in Form von Papierprototypen, mit denen wir die Gestaltungsideen günstig, einfach und schnell umsetzen können und uns damit das frühe Einholen von Nutzerfeedback ermöglichen, ohne dass Details ablenken. Außerdem können wir somit Änderungen schnell umsetzen und erneut testen. Um die Konzepte anschließend konkreter darzustellen, bauen wir klickbare Prototypen, mit denen sich die späteren Interaktionsmöglichkeiten und Navigationsstrukturen schnell nachvollziehen lassen. Mehr dazu findet ihr in unserem Blogbeitrag Prototyping in der agilen Entwicklung: Design Studios als Bindeglied zum Usability Engineering.
Das frühe Einholen von Nutzerfeedback ist wichtig, damit Nutzungsprobleme frühzeitig aufgedeckt und behoben werden können. Dies stellt sicher, dass zum Beispiel größere Interaktionsprobleme nicht erst nach der Entwicklung des Systems entdeckt werden, wenn eine Änderung meist sehr teuer oder gar nicht mehr möglich ist.
Um ein solches Feedback einzuholen, führen wir in den verschiedenen Phasen der Entwicklung Benutzertests durch. Zu Beginn der Entwicklung nutzen wir dazu unsere Papierprototypen, dann unsere klickbaren Prototypen und schließlich das immer weiter fortschreitende System. Durch dieses kontinuierliche Einholen des Feedbacks stellen wir eine nutzerzentrierte Gestaltung sicher. Mehr dazu findet ihr in unserem Blogeintrag Usability Tests in der agilen Softwareentwicklung.
Eine weitere Möglichkeit, ein System zu evaluieren, stellt eine Experten-Inspektion dar. Dabei sollte jedoch sichergestellt sein, dass sich der Usability-Experte in das Umfeld und den Wissenstand eines realen Nutzers hineinversetzen kann. Der Experte kann dann basierend auf seinem Wissen über Heuristiken und Gestaltungsrichtlinien mögliche Problembereiche identifizieren.
Wir durchlaufen diese verschiedenen Prozessschritte der menschzentrierten Gestaltung immer wieder, um das jeweilige Produkt oder interaktive System kontinuierlich zu verbessern. Denn in der Realität verändern sich Rahmenbedingungen oder Nutzungsanforderungen im Laufe der Zeit, sodass stetig Anpassungen getroffen werden müssen.